DIE Ausstellung läuft noch …

Die Ausstellung des Schlossmuseums Jever „Break on through to the other side – Tanzschuppen, Musikclubs und Diskotheken in Weser-Ems“ ist mittlerweile ebenso legendär wie die Diskotheken, denen sie gewidmet ist. Sowohl vom Zweckverband als Träger des Museums als auch von vielen Interessierten wird immer wieder gebeten, die Präsentation in der einen oder anderen Form weiterhin zu zeigen. Es gibt nach wie vor viele Nachfragen von Besuchern vor allem auch von außerhalb, die die Ausstellung gerne noch oder auch ein weiteres Mal sehen möchten. Außerdem hat das Thema der hiesigen Beat- und Diskothekenkultur mit Blick auf den 50sten „Geburtstag“ eines der bedeutendsten Läden nicht nur der hiesigen Region, Meta’s Musikschuppen, 2010 nochmals einen besonderen Stellenwert erhalten.

Ausstellung zur Diskothekengeschichte im Schlossmuseum JeverImpressionen von der Diskotheken-Ausstellung im Schlossmuseum Jever

Die nicht nur wegen ihres Themas bemerkenswerte, mit weit über 100.000 Besuchern auch sehr erfolgreiche Ausstellung war u.a. die Initialzündung für zwei rauschende „DJ-Nights“ am Schloss in Jever. Die Ems-Vechte-Welle ließ sich von der Ausstellung inspirieren, in der Sendung „Rock Arts“ so etwas wie eine musikalische Diskothekengeschichte mit den Highlights aus vielen einst bedeutenden Diskotheken zu erzählen. Und mit der mehrmals jährlich stattfindenden „Musicland-Party“ im Theatersaal der Compagnia Buffo in Restrup im nördlichen Osnabrücker Land hat sich mittlerweile eine Veranstaltung etabliert, die das „Erbe“ der Ausstellung auch nach deren Ende weiterführen könnte (wird?).

Eine wirkliche Erklärung für dieses Phänomen hat bisher noch niemand geben können, auch wenn der Ausspruch von Diskothekenbetreiber und DJ-Urgestein Rio de Luca „Die Ausstellung hat uns allen eine Geschichte gegeben“ sicher erste Anhaltspunkte liefert. Das Bedürfnis, über diese konkrete Phase unserer Vergangenheit zu reden, zu hören und zu lesen, ist jedenfalls groß und ungebrochen, wie auch die stetig wachsenden Besucherzahlen dieses Portals beweisen (im November 2010 etwa 8.000 Besucher).

Für diejenigen, die von der Ausstellung noch nichts gehört haben oder einfach ihr Gedächtnis auffrischen wollen, wird hier noch einmal (mit Genehmigung des Schlossmuseums Jever) die Pressemitteilung vom 18.08.2007 zum Download angeboten, mit der alles begann.

Kritische Stimmen gab und gibt es natürlich auch. Da sind z.B. die 5 Stimmen aus der laufenden Umfrage, die keine weiteren DJ-Nights erleben wollen. Da ist auch Karwan Baschi, der in seinem Blog-Beitrag „Früher mal, die Dorfdisco“ zu beschreiben versucht, wie sehr ihn das „Gerede über ‚damals'“ langweilt. Und da ist auch die Rezension des Ausstellungskataloges von Neele Behler aus Göttingen, die, nachdem sie den Katalog und seine Beiträge anfangs durchaus wohlwollend betrachtet hat, wohl darüber so sehr erschrocken ist, dass sie zum Ende hin dann richtig „austeilt“ (In: Kulturen 3 (2009) II. Repräsentationen des Regionalen. Neue Forschungen. Göttingen 2009, S. 79-82):

„Insgesamt legt der Katalog einen musealen Schleier über die dargestellte jüngste Vergangenheit und vermittelt somit den Nachgeborenen nicht unbedingt das Gefühl, die Akteure dieser Zeit weilten noch unter ihnen. Alles klingt abgelegt und weit entfernt, so wird das Pulsieren und das Aufbegehren gegen die Konventionen selbst zu einer konventionierten Erfahrung aus zweiter Hand, die kaum etwas von ihrer wilden Ungehörigkeit auf den Leser und die Leserin zu übertragen vermag, außer einer geordneten Nostalgie, die so gar nicht aufrührerisch anmutet. Lediglich einige Absätze geben den Blick unmittelbar frei auf die Bedeutung, die ‚Tanzschuppen, Musikclubs und Diskotheken im Weser-Ems-Gebiet in den 1960er, 70er und 80er Jahren‘ für die damalige Zeit hatten. In dieser domestizierten Form dürften die ungezogenen Beatfans oder langhaarigen Parkaträger und ihre laute ‚Urwaldmusik‘ keinen Besucher des Schlossmuseums Jever mehr verschrecken“.

Für viele gehört es heute zum guten Ton, über die Protagonisten jener Zeit zu spotten und sie gar für alles Übel der heutigen Zeit verantwortlich zu machen. Und wirklich müssen wir heute eingestehen, dass sich viele Utopien und Wunschträume der damaligen Zeit als naive Illusionen erwiesen haben. Aus dieser Sicht lässt sich aber auch die Enttäuschung jüngerer Generationen verstehen, die die Energie, Kreativität und Aufbruchsstimmung der 60er, 70er und 80er Jahre auf ihre Zeit übertragen haben wollen und nun erkennen müssen, dass das nicht funktioniert. Ein bisschen erinnert dieser Sachverhalt an das Geschehen um den amerikanischen Präsidenten Barack Obama, der im Wahlkampf eine riesige Euphorie und Erwartungshaltung entfacht hat, von der – wie viele beklagen – derzeit nicht viel übrig geblieben ist.

Wenn man allerdings die musikalischen und künstlerischen Erzeugnisse der 60er, 70er und 80er Jahre und den mit ihnen verwobenen Lebensstil als eine Art Angebot an spätere Generationen versteht, diese so ungemein lebendige und vielschichtige Aera als Energiespender für immer wieder neue Zeiten aufzugreifen und etwas Neues und Weiterführendes daraus zu entwickeln, so offenbart sich dabei ein gewisses Unvermögen der heutigen Protagonisten, das eine Kritik wie die oben genannte meines Erachtens reichlich peinlich wirken lässt.

DIE Ausstellung zur Diskothekengeschichte im Schlossmuseum Jever läuft noch … und ist sicher auch ein Ausflugstipp für die kommenden Feiertage! Zur Erinnerung: zu den Dingen, die diese Ausstellung besonders auszeichnet, gehört die beispielhafte und beispielgebende Musik aus der damaligen Zeit, die man sich in jedem Raum anhören kann. Ein ganz besonderer Leckerbissen ist z.B. das Stück „I Wish I Could“ von der 1972er LP „Marks“ der holländischen Band Alquin, das im Turmzimmer läuft und die dortige Lightshow aus den frühen 70er Jahren so kongenial untermalt.

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Wilfried

1 Gedanke zu „DIE Ausstellung läuft noch …“

  1. Lieber Wilfried, liebe AkteurInnen des „Break on through…“,

    ich bin etwas erstaunt auf die Wahrnehmung meiner Rezension des Ausstellungskatalogs gestoßen und möchte dazu Stellung beziehen.
    Seit meiner Teenager-Zeit, als wir die Plattensammlungen unserer Eltern wieder aus dem Keller holten, auf dem Plattenspieler im Wohnzimmer der Oma (dem einzig noch verfügbaren) durchhörten und Kopien auf Audiokassetten zogen, bin ich von der Zeit und ihren Orten angetan, die in der Ausstellung dargestellt werden. Keineswegs ist es meine Absicht, die Akteurinnen und Akteure von damals zu verspotten, im Gegenteil. Vielleicht bin ich tatsächlich enttäuscht, dass es heute so viel schwerer ist, ein so energetisches, kreatives und positives Lebensgefühl kennen zu lernen. Und ich würde nie bestreiten, dass heutige Generationen alternativer Jugendkulturen auf dem aufbauen, was in den 1960er, 70er und 80er Jahren vorgelebt wurde. Es macht mir gerade deswegen immer noch viel Spaß durch Musik, Literatur, Filme oder Erfahrungsberichte unmittelbar, also auch emotional, etwas davon zu erfahren. Was ich daher „austeile“, ist der Wunsch nach mehr von dieser Unmittelbarkeit, die im Ausstellungskatalog leider nur an wenigen Stellen hervor bricht. Ich will etwas nacherleben von dem Vibrieren der Ideen, von den Utopien und Illusionen, um mich trotz aller eventueller Enttäuschungen von ihrem Kern inspirieren zu lassen. Der „museale Schleier“ ist mir dabei leider im Weg, was aber vielleicht auch einfach dem speziellen „Format“ Museum geschuldet ist. Aufbruch passt eben in keine Vitrine, jedenfalls nicht lebendig. Das tut ihm als Solchem aber keinen Abbruch.

    Viele Grüße aus Göttingen,
    Neele

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