Die DVD-Edition des legendären „Beat-Club“

Der von Radio Bremen produzierte „Beat-Club“ war die erste Musiksendung im deutschen Fernsehen, die speziell für Jugendliche erdacht und geschaffen worden war – eine Art Studio-Party, bei der Jugendliche zu der (Beat-)Musik von möglichst bekannten Bands tanzen sollten. Das Projekt erforderte Mut: Wilhelm Wieben, der spätere Tagesschau-Sprecher, mußte vor der ersten Sendung das Publikum vorwarnen, es gäbe nun tanzende Jugendliche und laute Musik zu sehen und zu hören, und bat das bisher überwiegend ältere Publikum um Verständis für „die Jugend“.

Natürlich wußte jeder, dass ein Sturm der Entrüstung über diese „ordinäre“ und „undeutsche“ Sendung losbrechen würde. Die relative Ungezwungenheit und Gelassenheit, mit der man beispielsweise in England der Beat-Musik begegnete, war in Deutschland nur ein Traum.

Der „Beat-Club“ war aber auch die erste Musiksendung mit ausländischen Interpreten und stieß auf einen riesengroßen Nachholbedarf bei den deutschen Jugendlichen. Da all diese „Gammler“ und „Hippies“ Unmengen an Platten kauften und so das Gesicht der deutschen Hitparaden entscheidend veränderten, wurden sie zum wichtigen Wirtschaftsfaktor und mit dieser „Auszeichnung“ war auch schon in den 60er Jahren (fast) alles erlaubt. Man ließ die „Macher“ der Sendung bald in Ruhe „machen“ und der „Beat-Club“ konnte sich „entwickeln“.

Der Beitrag des „Beat-Club“ zur deutschen Kulturgeschichte schien eigentlich schon hinreichend erforscht und gewürdigt worden zu sein, da erschien mit der insgesamt 3-teiligen DVD-Edition des „Beat-Club“ eine ganz neue Möglichkeit, sich mit der Geschichte der Rockmusik in Deutschland zu beschäfltigen. 24 DVDs mit über 60 Stunden „Beat-Club“ bieten einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über die 83 Sendungen von 1965 bis 1972, deren Einfluss auf das deutsche Musik-Fernsehen gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Es fehlen lediglich einige der Filmeinspielungen der Beatles, deren Rechte man nicht klären konnte, 2 Best-Of-Sendungen, 1 Sendung nur mit Musikvideos ohne Band-Auftritte sowie die angeblich legendäre Beat-Club-Sondersendung mit Frank Zappa (vom 6. Oktober 1968 mit dem Titel Lieder-Liches), von der ich allerdings noch nie etwas gehört habe.

ARD-Video: the story of BEAT-CLUB. http://beatclub.labor1.de/ARD-Video: the story of BEAT-CLUB. http://beatclub.labor1.de/

Die DVD-Edition mit ihrer sagenhaften Fülle bringt auch einige Facetten des „Beat-Club“ ans Licht, die man bisher nicht angemessen wahrgenommen oder vielleicht auch schon wieder vergessen hatte.

1. Der „Beat-Club“ dokumentierte umfassend und in nahezu einmaliger Art die Entwicklung der Popmusik der 60er und frühen 70er Jahre. Fast alle der bekannten und relevanten Bands und Musiker der damaligen Zeit traten im Beat-Club auf, in der Regel live, manchmal auch nur in Form von Filmeinspielungen. Die Metamorphosen der Rockmusik spiegeln sich in den Auftritten der Bands wider. Ab 1968 traten neben den „massentauglichen“ Beat-Bands zunehmend „ernsthaftere“ Gruppen auf, die ganz neue und bisher unbekannte Musikformen darboten. In den Jahren 1970 und 1971 bot der „Beat-Club“ gar ein überragendes Programm mit progressivem Rock, Jazzrock, Folkrock und Krautrock höchster Qualität.

Viele der Bands blieben gleich einen ganzen Tag im Studio und nahmen in einer Session eine Reihe von Stücken auf, von denen es nur wenige bis in die Sendungen schafften. Welche Schätze da noch in den Archiven von Radio Bremen lagern müssen! Die Zahl der in den Sendungen auftretenden Bands nahm ab, gleichzeitg nahm die Länge der Stücke zu. Steamhammer oder Ginger Baker’s Airforce steigerten sich in 10- oder gar 20-minütige Improvisationen hinein, Humble Pie boten mit expressiver Spielfreude und Dynamik eine Version von „Natural Born Boogie“, die in jedem Live-Konzert vor großem Publikum den natürlichen Höhepunkt dargestellt hätte.

2. Ab Ende 1968 wurde der „Beat-Club“ um kurze Filmbeiträge des WDR auf 60 Minuten Sendezeit erweitert. Berichte mit kritischem Anspruch (etwa über die vierte Documenta in Kassel, die Kommerzialisierung der Popmusik, Nordirland, die unterschiedlichen Lebensstile weißer und farbiger Jugendlicher in den USA oder den Vietnam-Krieg) wurden ergänzt durch Dokumentationen des kulturellen Geschehens vor allem in London und in den Niederlanden.

Die teils sehr experimentell angelegten Beiträge machten den „Beat-Club“ eine Zeitlang zu einem Unikum in der deutschen Fernsehgeschichte. War anfangs noch das Bemühen unverkennbar, die kleinbürgerliche Kultur und Lebenshaltung vieler Deutscher mit Witz und Intelligenz zu parodieren, so wurden die Beiträge im Laufe der Zeit immer politischer und provozierender und zeigen auf, zu welchen Irrflügen die so genannte „Linke“ der damaligen Zeit fähig war. Irgendwie „exotisch“, zeitgeschichtlich hochinteressant und handwerklich gut gemacht waren aber alle Beiträge – der Rest ist sicher Ansichtssache.

3. Der „Beat-Club“ wurde im Januar 1970 zum ersten Mal in Farbe ausgestrahlt, die die zunehmenden visuellen, ja psychedelischen Effekte der Darstellung nun richtig zur Geltung brachte. Diese „Spielereien“ mit der Kamera waren kreativ, innovativ und erweiterten die Aussagemöglichkeiten der Songs in ein ganz neues Universum. Selbst eher mittelmäßige Stücke wurden nun oft zu einem ganz besonderen Genuss für Augen und Ohren.

Auch das Bühnenbild an sich wurde „psychedelisiert“. So wurde z.B. ein während des Auftritts gemachtes Foto quasi als Standbild der Musiker in den Vordergrund geblendet, während im Hintergrund der Film mit dem eigentlichen Auftritt ablief. So entstand ein visuell immer noch faszinierender 3D-Effekt, der damals seinesgleichen suchte. Auch ein großer Oszillograph machte von sich reden, mit dem man die Schwingungen des jeweiligen Stückes „aufnahm“ und im Hintergrund auf eine große Leinwand blendete. In seinen besten Momenten war der „Beat-Club“ ein Gesamtkunstwerk und ein akustisches und optisches Abenteuer, das erst später in Diskotheken wie der „Scala“ von Wolfgang Schönenberg seine Fortsetzung fand.

Etwa 50 Euro muß für je eine der drei DVD-Boxen bezahlt werden, selbst bei Amazon oder Ebay. Aber die DVD-Edition des „Beat-Club“ bietet auch viele Überraschungen und eine so spannende Zeitreise in die Musik und Jugendkultur der späten 60er und frühen 70er Jahre, dass das Geld gut angelegt scheint. Der nächste Geburtstag kommt bestimmt …

Der „Beat-Club“ irgendwann im Jahr 1971 – Yes mit „Yours Is No Disgrace“:

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Wilfried

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