Die Piraten-DJs leben noch

Radio Day in Amsterdam

Radio Day 2010

Am Samstag, dem 13. November 2010, treffen sich im neuen Hotel Casa 400 in Amsterdam die Fans der ehemaligen Piratensender zum 30sten „Radioday“. Zu Gast sind ehemalige DJs und Mitarbeiter der berühmten Seesender, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein meist jugendliches Publikum mit amerikanischen, britischen und holländischen Pop-, Soul- und Rockneuheiten nachts unter ihren Bettdecken versorgten und vom Schlafen abhielten. Der Groninger Hans Knot ist Organisator der Veranstaltung. Er hat in seinem Leben eine Unmenge an Fotomaterial und wissenswerten Informationen über die wilden Geschichten dieser einzigartigen Radiokultur zusammengetragen und zahlreiche lesenswerte Bücher verfasst. Auf http://www.hansknot.com/images/RNI/index.htm hat er anlässlich des 40sten Jubiläums von Radio Nordsee International ein tolles Bilderbuch online zusammengestellt.

Die Fotos geben einen verblüffenden Einblick in das Piratenleben an Bord, an die installierte Technik, die große Schallplattenbibliothek und den riesigen Sendemast oder den an Militärschiffe erinnernden Tarnanstrich, den man bei vielen Piratensenderschiffen findet. Wer sich durch die Foto-Popups durchklickt und sich die Zeit nimmt, die vielen Bilder eingehend zu betrachten, wird einiges entdecken, was sich auch für die eigene Musik-„Devotionalien“-Sammlung eignen würde: Das Golden-Earring-Shirt am schlanken Oberkörper des DJs, Promotionposter von Rory Gallagher, T-Rex, den Strawbs, robuste Plattenspielertechnik. Seht einfach selbst.

Quelle guter Pop-Musik

Für die Promotion alternativer neuer Musik in den Sechziger- und Siebzigerjahren waren die so genannten „Piratensender“ in der Nordsee, der Irischen See und vor der Küste Schottlands (und auch anderswo) eine sehr wichtige Sendequelle.

Die bekanntesten, im Raum Weser-Ems empfangbaren Piratensender waren damals „Radio Veronica“ und „Radio Caroline“. Radio Caroline war „on air“ ab 27. März 1964 mit zahlreichen Unterbrechungen. So sendeten die „Piraten“ von 1970 bis 1974 – ebenfalls mit Unterbrechungen – unter dem Namen „Radio Nordsee International“.

Fünfzig Prozent legal, fünfzig Prozent illegal

Die Piratenstationen – welch ein aufregender Name! – arbeiteten und sendeten aus
internationalen Gewässern außerhalb der Drei-Meilen-Zone von umgebauten Schiffen heiße Rhythmen und Programme und waren vor allem bei der Jugend ungemein populär. In deren besten Jahren hatten sie über 20 Millionen Hörer. Denn statt des langweiligen „Gedudels“, das die staatlichen Radiosender spielten, boten diese Sender als einzige auch die Musik unbekannter britischer, amerikanischer und holländischer Bands und Schallplatten von kleinen Labeln. Damit erfüllten sie nicht nur den Geschmack des Publikums, sondern sie setzten auch Trends und schufen eine gewaltige Nachfrage und Neugierde nach neuen, frischen Sounds.

Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer auf „hoher See“ unterstützte gleich am Anfang eines Programms von Radio Nordsee International ein stimmungsvoller Jingle mit Möwengeschrei – heute würde man das als „Corporate Tonality“ bezeichnen – und der Sound des Les Reed Orchestras als Begrüßungsmelodie versprach Aufbrauchstimmung in eine ungezwungende Zeit.

Die Piratensender zahlten keine Urheber-Gebühren für die gespielten Schallplatten, standen eine Zeit lang unter panamaischer Flagge und nutzten anfangs eine Gesetzeslücke, wonach sie in internationalen Gewässern von nationalen, z. B. englischen Gesetzen, nicht belangt werden konnten.

Neues Lebensgefühl aus dem Meer

„Music for young Europe“ war Werbeslogan und zugleich der Programmanspruch von „Radio Nordsee International“. Mit ihrer Musik verbreiteten die Seesender ein neues, nicht gekanntes, positives Lebensgefühl, wobei ihre Einnahmen aus Werbesendungen ohnegleichen sprudelten.

Mastermind hinter den ersten Piratensendern war ein gewisser Ire namens Ronan O’Rahilly. Ihm wird nachgesagt, seinen ersten Piratensender auf offener See gegründet zu haben, weil die staatlichen Sender seine Musik nicht spielen wollten. – Der Einfluss der Regierungen auf das Programm der nationalen Radiostationen war überall in Europa enorm hoch und sie wollten die Kontrolle behalten.

Am Ende siegten die offiziellen Stellen

Die offiziellen Stellen sahen das Treiben der Seesender ganz anders und warfen ihnen u. a. vor, mit deren Sendungen den Funk und insbesondere die Seenotruf-Frequenzen zu stören. Die britische Regierung wusste sich als erste zu wehren. Mit deren „Marine Offence Act“ drehte sie den Piraten den Geldhahn zu, denn das neue Gesetz stellte jegliche Unterstützung der Piratensender (z. B. durch Werbeverträge, Lebensmittel-, und Materiallieferungen) und auch die Arbeit der DJs auf den Piratenschiffen unter empfindliche Strafen. Den meist britischen DJs, die dennoch weitermachten, drohte eine Verhaftung, sobald sie britisches Festland betraten.

1974 zog auch die niederländische Regierung nach. Vor deren Gewässern befanden sich mehrere Sendeschiffe. Das niederländische „Anti-Piraten-Gesetz“ zwang schließlich die beliebten Piratensender „Radio Veronica“ und „Radio Nordsee International“ erstmalig am 24. September 1970 und endgültig am 1. September 1974 in die Knie.

„Mit dem Abschied von Veronica stirbt auch ein Stück Demokratie in den Niederlanden … das tut mir Leid … für die Niederlande“, zitiert Johannes Ruhr die Abschiedsworte des Veronica Moderators Rob Out.

Und in einem Leserbrief zu einer Schließung von Radio Nordsee International heißt es „Warum schließt die Regierung eine Einrichtung, die den Hörern so viel Freude bereitet?“

Beiden Schließungen vorausgegangen war ein jahrelanges „Katz- und Maus-Spiel“ zwischen den Betreibern der Piratensender, deren Gläubigern und den Regierungen – wobei die Sender immer die Unterstützung ihrer Hörer sicher sein konnten, denn redaktionelle Kreativität und Originalität der Sender sowie deren Freibeutertum entsprachen genau dem, wonach Jugendliche sich Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre in unserer ansonsten sehr gemaßregelten Welt sehnten. Die DJs der Seesender waren damals Helden und sind auch heute noch gefragte Interviewgäste beim alljährlichen „Radio Day“ in Amsterdam, einem Treffen von Fans und Freunden der ehemaligen „Off-Shore“-Radiostationen – organisiert von Hans Knot aus Groningen.

Ich werde wieder dabei sein und mir musikalische Inspirationen für unsere nächste Musicland-Party in Restrup, am 28. Mai 2011, holen. Denn mit etwas Glück werde ich wieder einen Originalmitschnitt einer Radiosendung von einem Sammler ergattern. Die Musicland-Party wartet beim nächsten Mal mit einem ganz besonderen Highlight auf, das noch geheim ist.

Mehr demnächst an dieser Stelle.

Gisbert Wegener

6 Gedanken zu „Die Piraten-DJs leben noch“

  1. Wie ich gerade erfahren habe, wirken an der Organisation des Radiodays neben Hans Knot auch noch Rob Olthof und Martin van der Ven(aus Meppen)mit. Ich finde es toll, dass Radioliebhaber sich so stark engagieren.

    Gisbert

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