Spielfilme, in denen Discos eine tragende Rolle spielen, existieren einige – in den 1970er Jahren „Saturday Night Fever“, später in den 90ern dann etwa „The Last Days Of Disco“ und schließlich und vor allem „Studio 54“. Einblicke in die alternativ-progressive Disko-Szene (mit „k“) muss man dagegen mit der Lupe suchen. Zuletzt ist die filmische Erinnerung an das Musik-Business der 1970er Jahre, die Serie „Vinyl“, gnadenlos an der Eitelkeit von Produzenten wie Schauspielern gescheitert.
Seit Juni 2016 läuft nun Café Belgica ↑ in den deutschen Kinos. Der belgische Regisseur Felix van Groeningen setzt damit dem „Café Charlatan“ (1989 – 2000), der Rock-Kneipe seines Vaters im Zentrum von Gent, so etwas wie ein filmisches Denkmal. „Und obwohl der Film nicht autobiografisch ist, stecken viele persönliche Erinnerungen in dem Film, und die Entwicklung von der freigeistigen, alternativen Muckerkneipe zum angesagten Place-to-Be mit Türstehern hat auch das Charlatan durchgemacht. Und auch die zunehmenden Probleme durch exzessiven Drogenkonsum, Gewalt und Kriminalität sind in den Film eingeflossen“ (Rolling Stone ↑).
Vordergründig ist „Café Belgica“ die Geschichte der Brüder Jo und Frank, die sich nach langem Schweigen wiederfinden und bald zusammen in einer Kneipe das Partyvolk mit den nötigen Essenzen versorgen. Der Laden ist voll, bald legt ein DJ Musik auf, die Post geht ab. Die beiden Brüder finden kurz darauf ein leerstehendes geeignetes Gebäude und damit ist das „Cafè Belgica“ geboren und wird gegen alle Widerstände verwirklicht.
Das Team rund um Jo und Frank versteht den Laden nicht nur als Ausdrucksform der alternativen Szenegänger – „Willkommen in deinem Lieblingsladen, dem Ort der Verdorbenheit“ – sondern mehr noch als „Arche Noah“, in der man der öde-frustrierenden Gegenwart widerstehen kann. Das wilde Party-Treiben ist genial und suggestiv inszeniert. Ein besonderes, vielleicht sogar das wichtigste Highlight des Films ist die Musik, die komplett von den Genter Lokalmatadoren „Soulwax“ geschrieben und mit verschiedenen Musikern umgesetzt wurde. Insgesamt 16 Bands stehen so auf der Bühne des Ladens und fabrizieren ein wildes Gebräu aus Krautrock, Punk, Rockabilly, Techno, Soul und Pop.
Die Nächte im „Café Belgica“ werden dank dieser Musik so intensiv, temporeich und mitreißend dargestellt, das – so monieren einige Kritiker – Schwächen wie die nicht immer stilsichere Collage der Bilder, die Zahl der aufgenommenen und nicht weiter verfolgten Handlungsstränge oder die zuweilen unerträgliche Missachtung den weiblichen Figuren gegenüber nicht so auffallen, wie sie es vielleicht müssten.
Es sei nicht verschwiegen, das die grandiose Party mit einer gehörigen Katerstimmung endet, von der auch der zunehmend desillusionierte Zuschauer nach seinem emotionalen Höhenflug keineswegs verschont bleibt. Zu bekannt kommt einem vieles vor: mit gleichgesinnten Menschen einen Traum verwirklichen, dem Alltag zumindest zeitweilig entfliehen, eine erträgliche Parallelwelt erschaffen. Das Scheitern dieser Utopie tut durchaus weh.
Dennoch sollte niemand diesen Film verpassen. Die DVD ist seit September 2016 ebenfalls im Handel, der Soundtrack Belgica ↑ bereits seit Februar.
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Wilfried