HiFi’s Tod

Eigentlich ist Mike Harrison’s Smokestack Lightning von der gleichnamigen 1972er LP ein tolles Stück. Die Band um das ehemalige Gründungsmitglied von Spooky Tooth entwickelte aus dem uralten Blues einen 13-minütigen Groove mit hypnotischen Qualitäten, der die Tänzer in den Diskos in einen fast trance-artigen Zustand führen konnte.

Welche Enttäuschung bedeutet es aber, dieses Stück Vollblutmusik heutzutage in einer digitalisierten Version erleben zu müssen – also in Gestalt einer so genannten MP3-Datei, in der der ursprüngliche Klang digital reduziert bzw. komprimiert wurde. Wie flach und dünn und ohne Dynamik das Stück plötzlich klingt, wie blechern in den Höhen, wie dumpf in den Bässen …

Der Rolling Stone hat diesem Phänomen bereits in der Februarausgabe 2008 einen umfangreichen Artikel mit dem Titel „Kalte Kompressionen“ gewidmet: „Die Tonleute arbeiten mit Dynamik-Kompression, die den Abstand zwischen den lautesten und den leisesten Momenten in einem Song reduziert. Das Ergebnis: durch zu viel Kompression gehen klangliche Details unter, die Musik verliert an emotionaler Kraft und ermüdet unsere Ohren“ (RS, 02/2008, S. 9).

Im Grunde geht es darum, dass die Unterschiede in der Lautstärke einzelner Passagen angeglichen werden, so dass insgesamt das ganze Stück lauter wirkt. Es geht um Aufmerksamkeit, denn nur diese zählt in unserer digitalisierten Medien- und Konsumwelt: „Mit derselben Technik hebt man die Werbespots im Fernsehen zwischen den normalen Sendungen hervor. Und erreicht tatsächlich die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Aber das hat seinen Preis. Bob Dylan sagte letztes Jahr im ROLLING STONE, die heutigen Alben hätten ‚überall Sound. Nichts kommt mehr definiert, kein Gesang, kein gar nichts, es ist alles nur noch – Rauschen'“ (RS, 02/2008, S. 9).

Das Perfide an dieser Entwicklung ist, dass nicht nur neue Platten, sondern auch ältere Aufnahmen, wenn sie für eine Neuveröffentlichung aufbearbeitet werden, nach diesem Muster abgemischt werden. Das Schicksal der Musik scheint es also zu sein, dass sie immer schlechter klingt. „David Bendeth und andere Produzenten haben Sorge, junge Hörer könnten sich an stark komprimierte Musik und an den dünnen MP3-Klang schon so gewöhnt haben, dass der Kampf um mehr Qualität bereits längst verloren ist. ‚CDs klingen besser, aber keiner kauft sie mehr‘, sagt er. ‚Das audiophile Zeitalter ist unwiderruflich vorbei'“ (RS, 02/2008, S. 11).

Der gesamte Artikel ist hochinteressant und sehr informativ. Leider ist der deutsche Text nicht im Netz zugänglich, sondern nur der amerikanische Originaltext mit seinem viel treffenderen Titel:

The Death of High Fidelity

Das obligatorische Youtube-Video kann natürlich auch nicht mit superber Klangqualität aufwarten („Kalte Kompression“), bietet dafür aber die Gelegenheit, eine Band wiederzuentdecken, die in den 60ern eine Reihe von außerordentlich guten Platten machte, die noch viel böser und wilder als die Rolling Stones sein wollte, und die es dennoch nie richtig schaffte. Welche Kraft die Pretty Things hatten, beweist z.B. ihre Single „Come See Me“ von 1966 (B-Seite: „LSD“), deren Fuzz-Orkan selbst die Video-Komprimierung bei Youtube überstanden zu haben scheint. Man höre sich nur einmal als Gegenstück einen Song der Rolling Stones von 1966 an …

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Wilfried

2 Gedanken zu „HiFi’s Tod“

  1. Hallo Wilfried,

    ich habe gerade Deinen Artikel „HiFi’s Tod“ gelesen und kann dem nur zustimmmen. Ich selbst hatte mal da mein ganz eigenes Erlebnis. Ich hatte mir eine CD mit alten Piratensender-Sendungen besorgt und es war alles auf MP3 komprimiert. Die 60erJahre Stücke klangen alle wie gerade erst aufgenommen. Dabei erhalten die Stücke eine ganz eigene neue Ästhetik zu Lasten der Authentizität, die mir persönlich enorm wichtig ist. Mir gefällt dieser MP3-Sound persönlich überhaupt nicht und deswegen bleiben wir auf unseren Electric-Musicland-Partys dabei LPs und CDs aufzulegen und in nur ganz seltenen Fällen kommen die Stücke aus dem Computer.

    Manche Leser, die sich in den Siebziger und Achtziger Jahren mit HiFi beschäftigt haben, werden sich noch an die DIN 45500 für HiFI-Geräte erinnern. Da mussten noch Klirrfaktor, Frequenzgänge und sonstige technische Feinheiten bestimmte Grenzwerte einhalten, um die begehrte Auszeichnung HiFi nach DIN 45500 zu erhalten. Und wie verhält es sich mit den MP3-Playern? Sie versprechen HiFi-Genuss selbst wenn die Lautsprecher-Membranen nicht einmal daumengroß sind. Nach meinem technischen Verständnis kann das nicht funktionieren.

    Bleibt abzuwarten, wie sich der Trend weiter entwickelt. Auf Ebay steigen die Preise für gute gebrauchte LPS nach meiner Beobachtung derzeit weiter.

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  2. Toller Artikel, lieber Wilfried, und immer die Youtube-Schmankerl dabei!!
    Ich denke schon, dass die digitale Musik (das Rauschen) mit einer eigenen Ästhetik aufwarten kann; es ist aber eben wirklich so, dass die Musik, die uns am/im Herzen liegt, in ihrer digitalen Reproduktion bzw. Bearbeitung zumindest über die neuen Tontechniken kaputt gemacht wird/worden ist.
    PS

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