Gerade ist es wieder zu Ende gegangen – das Montreaux Jazz Festival. Wieder mit einem unglaublichen Programm, wohl wieder mit dieser sagenhaften Atmosphäre, den legendären Jam-Sessions und einem bunten Volk aus jedem Winkel dieses Planeten. Und wieder war man nicht dabei, obwohl der Ort relativ leicht und schnell zu erreichen wäre: z.B. mit dem Flugzeug nach Zürich (Swiss, Air Berlin) oder Genf (easyJet), weiter mit dem Zug nach Montreux …
Wenn man diese kleine Ortschaft am Genfer See außerhalb des Ausnahmezustands während der zwei Wochen im Juli jeden Jahres besucht, so ist man zwar beeindruckt von den feinen Hotels an der Grand Rue und den unzählbar vielfältigen Blau-Tönen des Sees, aber man vergisst Montreaux bei der Weiterfahrt doch recht schnell wieder. Daran ändern auch die Statue von Freddie Mercury (Queen betrieben in Montreaux ihr legendäres Mountain View Studio) oder Deep Purple’s Hymne Smoke on the water, die den Ort 1971 schlagartig weltberühmt machte, nichts.
Aber das Montreaux Jazz Festival! Schon der Gründungsmythos, wie ihn ZEIT Online so schön formuliert, rockt: „Dass es jeden Sommer unter dem Wohlstandsmehltau von Montreux vibriert, das verdankt die Stadt ihrem mittlerweile bekanntesten Sohn. Claude Nobs, 75, geboren im Stadtteil Territet, gelernter Koch, früher Mitarbeiter des Fremdenverkehrsamtes, heute internationaler Musikstrippenzieher mit dem Nimbus eines Renaissancefürsten. Nobs holte schon Anfang der sechziger Jahre Rockbands in die Stadt. 1967 begründete er das Festival, um dem angestaubten Badeort mehr Zulauf zu verschaffen. Dank guter Kontakte in die USA schaffte er es, die damalige Crème der schwarzen Musik ins Waadtland zu holen.“
Und glaubt man dem entsprechenden Wikipedia-Artikel, so ist Claude Nobs auch heute noch Garant für das Besondere und weltweit Einzigartige an diesem Festival: „Der Charme des von Kritikern gelegentlich als «Supermarkt» bezeichneten Programms liegt in der Fülle und Parallelität von Jazz, Pop, Rock, Weltmusik (insbesondere aus Brasilien) und anderem in kurzer Zeit am selben Ort. Die gegenüber der konservierten Musik grösseren Freiheitsgrade bei Liveauftritten generell und in Montreux zusätzlich die verbindende Kommunikationsfreude des Festivalleiters Claude Nobs verleiten auch Stars nicht selten zu musikalischen Grenzgängen und stilübergreifenden Jamsessions, einige sind auf mittlerweile historischen Plattenaufnahmen dokumentiert …“
Wenn man die offizielle Datenbank des Montreaux-Festivals aufmerksam durchforstet, um sich über die Auftritte der etwa 4000 Künstler und Bands zu informieren, die bisher dort spielten, so wird das Einzigartige an diesem Festival recht schnell deutlich. Viele Musiker haben dort über Jahre ihre einzigen Europa-Auftritte absolviert, viele kommen immer wieder (allein B.B. King trat schon zwanzigmal auf dem Montreaux Jazz Festival auf), manche Künstler spielen in den verschiedensten Bands bzw. Zusammensetzungen gleich mehrfach während eines einzigen Festivals auf einer der Festival-Bühnen, und viele verdanken ihre erfolgreichsten Live-Platten einem Auftritt auf dem Montreaux Festival.
Auch das Publikum ist eine Klasse für sich. Noch einmal ZEIT Online: „Nach Montreux fährt man nicht, um sich im Schlamm zu wälzen wie bei einem Open-Air-Spektakel oder um Handy-Kameras in die Luft zu halten. Hierher kommen Gourmets, die jede Feinheit aufsaugen. Wenn Santana später im Konzert ein paar Töne von Don’t Let Me Be Misunderstood in ein Solo einflicht, brandet Jubel auf. Als Cindy Blackman mit McLaughlin ein Duett für Schlagzeug und Gitarre spielt, brennt die Luft – ein spiritueller Höhenflug in der für Montreux typischen perfekten Soundqualität.“
Also: Wer in seinem Leben noch einmal ein wirklich besonderes Musik-Erlebnis genießen möchte, fährt zum Montreaux Jazz Festival an den Genfer See, mindestens einmal, besser mehrfach … Das 46. Montreux Jazz Festival findet übrigens vom 29. Juni bis zum 14. Juli 2012 statt.
Zum Neugierigmachen folgen heute gleich drei Videos, allesamt aufgenommen über die Jahre auf dem Montreaux Jazz Festival: Carlos Santana mit „Jingo“ 1971, George Benson mit „Take Five“ 1986 und Massive Attack feat. Martina T. Bird mit „Babel“ 2010.
Wilfried