„Die sterben uns alle weg und wir gleich hinterher!?“ war die erste Reaktion eines Freundes, der mich auf das Ableben von Florian Schneider, einem der Mitbegründer von „Kraftwerk“, aufmerksam machte. In der Tat ist der Generationenwechsel in der populären Musik in vollem Gange – und der Corona-Virus tut das Seine dazu. War der Tod von Stranglers-Keyboarder Dave Greenfield schon beklemmend genug (dessen Band immerhin mit „Golden Brown“ und „Always The Sun“ zwei der schönsten Pop-Songs aller Zeiten erfand, dessen federleichter Flow leicht über die düsteren Texte hinwegtäuschte), so war Florian Schneider, waren „Kraftwerk“ als Pioniere der elektronischen Musik doch noch einmal ein ganz anderes Kaliber.
Die Frühphase der Band Anfang der 1970er deutete ihre späteren Großtaten noch nicht an. Obwohl bei den Kritikern und einem kleinen Kreis interessierter Hörer durchaus wohlgelitten (der Song „RuckZuck“ avancierte 1971 zur Erkennungsmelodie des ZDF-Politmagazins „Kennzeichen D“), mochte die Band ihr eigenes Schaffen in dieser Zeit später gar nicht mehr und entzog die ersten drei LPs komplett dem Markt.
In ihrem 1970 in Düsseldorf gegründeten Kling-Klang-Studio entstand nach und nach ein komplett neuer Sound aus den Klängen zahlloser Maschinen, bei dem auf „natürliche“ Instrumente vollkommen verzichtet wurde. Die LP „Autobahn“ bot 1974 dennoch eine dermaßen stimmige Mischung aus Sound, Stil und Melodie, das sie weltweit zu einem ersten großen Exportschlager deutschen Musikschaffens wurde. Erstaunlicherweise stellten sich viele Rockfans diese Platte in den Schrank, obwohl der Unterschied zum damals vorherrschenden Rock kaum größer sein konnte. Kraftwerk gehörten in dieser Phase zu den wichtigsten Pionieren des Krautrock.
Bereits 1981 und 1986 entstanden dann mit „Computerwelt“ und „Electric Café“ (später „Techno Pop“) die LPs, die sich schnell zur Blaupause bzw. zu den größten Vorbildern in HipHop, Electropop, Techno und überhaupt jeder Form der „modernen“ Clubmusik entwickelten. In einer BBC-Dokumentation wurde die Formation „Kraftwerk“, die aus sich selbst ein Kunstwerk machte (man denke an ihre Auftritte in den großen Kunstmuseen der Welt), als wichtiger für das weltweite Musikgeschehen eingestuft als die Beatles.
In der Tat ist festzustellen, dass in diese beiden Platten fast alles hineinpasst, was bis heute die Charts und die großen Trends dominiert und gegen das der gitarrenlastige Underground keine Chance mehr hat. Hier scheint sich aber auch die große Tragik des Erfolges und Einflusses von „Kraftwerk“ auf die populäre Musik zu verbergen. Öffneten die Beatles (und natürlich auch noch ein paar andere Bands) in den späten 1960er Jahren zahllose Türen hinaus aus dem eng gewordenen Korsett der Rockmusik, so geschah mit dem „Kraftwerk“-Sound genau das Gegenteil. Die Songs auf ihren Platten waren und sind dermaßen zwingend, dass keine Türen geöffnet, sondern vielmehr alle geschlossen wurden. Fast jeder Electro-Pop-Song, fast jeder Chartstürmer seit den 1980er Jahren hört sich meines Erachtens so an wie irgendein Song von „Computerwelt“ oder „Techno Pop“. Wer dem nicht folgen möchte – ein Musikgeschmack ist bekanntlich immer subjektiv -, sollte sich aber durchaus mit den Schaffen von „Kraftwerk“ beschäftigen. Damit macht man gewiss keinen Fehler – ein Anspieltipp für die neueren Platten wäre mit „Tour de France“ die bisher letzte, aber vielleicht auch schönste Platte der einstigen Krautrocker.
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Wilfried