Die Ausstellung “Break on through to the other side – Tanzschuppen, Musikclubs und Diskotheken in Weser-Ems” macht deutlich, wie wichtig der Disko-Besuch für Jugendliche von den 60ern bis z. T. in die 90er Jahre hinein war. Musik hören, Leute treffen, lachen, tanzen, trinken, rauchen … was konnte es Schöneres geben! Eigentlich gab es nur sehr wenige Gründe, die Samstagnacht nicht in der Disko zu verbringen: Krankheit, attraktive private Feten, Urlaub – und dann natürlich die Rockpalast-Nächte des WDR, die ab 1977 Furore machten!
Der Rockpalast war eine ab 1974 vom WDR produzierte Sendung mit Auftritten hochkarätiger deutscher und internationaler Rockbands, deren Konzerte im Rahmen der Rockpalast-Festivals aufgezeichnet wurden und später im Fernsehen liefen. Legendär sind heute die Rocknächte von 1977 bis 1986, die in der Grugahalle in Essen stattfanden und live als Eurovision in die europäischen Wohnzimmer gesendet wurden. Die Rocknächte wurden zumeist als Anlass und Grundlage für private Feten gesehen und vor dem Fernseher als willkommene Abwechslung zur Musik von Platten konsumiert. Zumindest die ersten Rocknächte waren so erfolgreich, dass einige Diskos dazu übergingen, die Rocknächte ebenfalls live auf Leinwänden oder Bildschirmen zu zeigen. Die Rocknächte wurden parallel vom WDR-Hörfunk und anderen ARD-Radiosendern übertragen, so dass die Fernsehzuschauer mit Hilfe ihrer Stereoanlage die Musik in besserer Qualität hören konnten.
Das Programm der Rocknächte war z. T. sehr mutig zusammengestellt, aber selbst Bands anderer Stilrichtungen wie z.B. Van Morrison, der sich während seines Auftritts immer wieder wunderte, was er eigentlich in dieser Rock-Arena mache, oder mehr noch King Sunny Ade and his African Beat, die eine äußerst tanzbare „Weltmusik“ boten, fanden ein dankbares Publikum. Angesichts des Programms der öffentlich-rechtlichen Sender, in dem Musiksendungen Mangelware waren und Live-Auftritte von Rockbands so gut wie gar nicht stattfanden, war die Aufnahmebereitschaft und Begeisterung des Publikums auch durchaus nachzuvollziehen.
Viele der Rockpalast-Nächte sind aufgrund ihrer ganz besonderen Atmosphäre unvergessen, und die beiden folgenden Youtube-Videos zeigen, warum das so ist.
An den ersten Rockpalast in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1977 kann ich mich noch gut erinnern. Die ganze Stadt – so schien es uns jedenfalls – vibrierte und alles wartete auf die Dinge, die da kommen sollten. Das hinter den Kulissen zuerst einmal Chaos herrschte und niemand wusste, ob das Eröffnungskonzert überhaupt stattfinden würde, wussten wir ja nicht. Rory Gallagher, der als erster auftreten sollte, war erkältet, hochfiebrig und erschöpft vom Jazz-Festival Montreaux angereist, wo er am Tag zuvor gespielt hatte, und war eigentlich nicht in der Lage, an dem Abend ein weiteres Konzert zu geben. Gut für uns alle, dass Rory Gallagher sich dennoch entschied aufzutreten. Nach etwas holprigem Beginn steigerte er sich in einen Spielrausch hinein, wie man es selten vorher erlebt hatte. Live-Rock vom Allerfeinsten, es war wirklich unglaublich. Rory Gallagher meinte später selbst, dass dieses Konzert sein bis dato bestes gewesen sei. Rory Gallagher in Höchstform mit „A million miles away“:
Der Auftritt der Patti Smith Group in der 4. Rockpalast-Nacht vom 21. auf den 22. April 1979 dagegen ist aus ganz anderen Gründen legendär geworden. Patti Smith war in dieser Nacht überhaupt nicht zu bändigen. Gleich zu Beginn ihres „Sets“ stieg sie mit einem europaweit übertragenen „Let me get on that fucking stage!“ auf die Bühne, ohne die Anmoderation abzuwarten, und lieferte dann ein Konzert ab, wie es wohl kein zweites gegeben hat. Alan Bangs, der sie nach ihrem Auftritt interviewen wollte, zeigte sie die kalte Schulter und blies schrille Töne auf einer kleinen Klarinette. Mit eben dieser Klarinette kroch sie während des Konzerts von Johnny Winter auf die Bühne und brachte den Schlagzeuger inmitten seines Solos mit ihren schrägen Dissonanzen dermaßen aus dem Takt, das dieser entnervt aufhören wollte. Alles live vor einem Millionenpublikum.
Ihr eigenes Konzert lässt sich im Grunde nicht beschreiben. „Es war eine anarchistische Show“, erinnert sie sich. „Wir waren an dem Abend keineswegs besonders gut, aber das Publikum hatte eine unglaubliche Energie, die sich auf die Bühne übertrug und ins Fernsehen“ (ZEIT Online 11.03.2010). Die Patti Smith Group stand Ende der 70er Jahre auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Ihre Konzerte waren auch deshalb legendär, weil sie an manchen Abenden wie die beste Band der Welt auftrumpften und am nächsten Abend kein Stück sauber auf die Bühne brachten. In ihrem Rockpalast-Auftritt boten sie beides, oft in einem einzigen Stück. „German Television proudly presents – Liebe Freunde, heute zu Gast bei uns im Rockpalast“: Patti Smith – die „Hohepriesterin“ des Rock – mit „Gloria“. Mehr Live-Atmosphäre ist wohl kaum möglich!
Wilfried
♦ Übersicht über alle erhältlichen Rockpalast-DVDs
♦ Rory Gallagher – The Official Website
♦ Patti Smith: Die Überlebende (ZEIT Online 11.03.2010)