Sammeln oder streamen?

Für jeden Musikfan in den 70er und 80er Jahren war es stets ein Glückstag, wenn er in die Wohnung eines Plattensammlers geriet, der mit seinen Schätzen nicht geizte. Der Anblick der oft wandfüllenden Regale machte zittern und bedeutete die Verheißung der ultimativen Gänsehaut. Das lag nicht allein an der Größe der Sammlung oder einem vielleicht ausgeklügelten Ordnungssystem, sondern man stand schließlich neben einem „Großmeister“, der mit wissender Miene hier und da eine Platte aus dem Regal zog und auf dies und das Stück und den oder die Musiker oder dieses und jenes Cover hinwies und damit alles irgendwie miteinander verknüpfte. Und dann die Platten: neben Pink Floyd, Yes, Deep Purple und den anderen „üblichen Verdächtigen“ – die besaß man ja schließlich auch – standen Platten von nie gehörten Bands wie „Dust“, „Beacon Street Union“, „The United States of America“ oder „The Missunderstood“ und warteten auf ihre Entdeckung und unsere Begeisterung.

Mit der Einführung der digitalen Compact Disk 1983 gingen die Produktions- und Verkaufszahlen der Vinylplatten immer rascher zurück. Viele Musikfans und -sammler stiegen „grummelnd“ auf die CD um, und nicht wenige ersetzten ihre komplette Schallplatten-Sammlung durch CDs. In diesem Jahr begann auch die noch heute nicht beendete Diskussion über die besonderen Vor- und Nachteile analoger und digitaler Produktions- und Abspieltechniken.

Anfang der 2000er Jahre gab es dann noch einmal eine „Musik-Revolution“, deren Verlauf ein schöner Artikel auf Spiegel Online eindringlich schilderte. Musik ist heute nicht mehr an bestimmte Medien gebunden und kommt gleichsam „entstofflicht“ daher. Der moderne Musikfan sammelt seine Schätze digital auf dem iPod oder hört sie gleich als Stream aus dem Internet.

Wer durch die LP-Ausstellung „Sounds“ im Schlossmuseum Jever schlendert, bemerkt sofort einen entscheidenden Unterschied zu den modernen Medien, auf denen heute Musik verbreitet wird: die Schallplatten mitsamt ihren Hüllen stellen quasi eine eigene Kunstform dar. Zwar sind sie eng an die Zeit Mitte der 1950er bis zum Ende der 1980er Jahre gebunden, als Schallplatten das Hauptformat für Musikaufnahmen waren und die Plattencover große Bedeutung für Marketing und Vertrieb der Platten hatten, aber dennoch haben sie eine große und irgendwie zeitlose Ausstrahlung, die der heutigen formatlosen Musik gänzlich abzugehen scheint.

Es ist im Grunde kein Wunder, dass die Schallplatte in den vergangenen Jahren ein „Comeback“ feiern konnte und wieder ein relativ breitgefächertes Angebot vieler verschiedener Musikrichtungen erhältlich ist.  Natürlich decken Vinylplatten nur Nischen ab und machen z.B. in Deutschland nur ca. 1 Prozent des Musikmarktes aus. Andererseits werden heute in Europa jährlich wieder etwa 15 Millionen Schallplatten produziert. Keines der neuen Musikmedien hat bisher die Sinnlichkeit einer Schallplatte und ihres Covers erreichen oder irgendwie ersetzen können.

Für Schallplattenfans und -sammler hier ein paar Tipps zum Weiterlesen im Netz:

Du bist DJ. Jahrzehnt der Musik-Revolution.  Spiegel Online 29.12.2009

♦ Wikipedia-Artikel Schallplatte und Schallplattencover

Verzeichnis von Vinylschallplatten im Internet

LP-Lover Cover. The World’s Greatest LP Album Covers (Vorsicht: schräg!)

Waiting For Louise präsentiert: Michaels Favoriten von 1950 bis 2010

Schallplatte contra CD – Besinnung auf den Ursprung

Auch ich hatte das Glück, immer wieder Sammlern zu begegnen, die über große Plattenregale und umfassende Kenntnisse verfügten. So manche Platte, so manche Musikrichtung wäre mir verschlossen geblieben – wie z.B. die Musik aus dem folgenden Youtube-Video: „Return To Forever“ von Chick Corea (1972) war eigentlich eine Jazz-Platte, stand aber bei erstaunlich vielen Rock-Fans im Regal. Keine Musik für die Disko, eher für den würzigen Abend zuhause: Chick Corea’s Return To Forever mit dem gleichnamigen Stück „Return To Forever“.

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Wilfried

1 Gedanke zu „Sammeln oder streamen?“

  1. Die geniale „Return to Forever“-Lp mit der unbeschreiblichen Stimme von Flora Purim. Wer hat sich früher nicht in ihre Stimme verliebt?

    Wilfried – gut ausgesucht. Und das gilt ebenfalls für die spannende Linkliste.

    Gisbert Wegener

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